Freitag, 10. November 2006
Frau Stella braucht ein Wunder
Noch immer ist das kleine Monster krank und mit Frau Stella zu Haus.
"Zu Hause" es gibt zur Zeit kein schlimmeres Wort für Frau Stella. Eingesperrt in die eigenen vier Wände schleicht Frau Stella durch die Räume und wiegt ihren Körper apatisch hin und her. Das Monster schläft.
Es gäbe ja so viel zu tun. Das Bad könnte einmal eine Grundreinigung vertragen, in der Ablage neben dem Computer stapelt sich das Papier und ruft " Bearbeite uns! Bearbeite uns!" Nein, Frau Stella ist nicht Goldmarie, die Fleissige mit dem guten Herzen für die armen, vernachlässigten Dinge. Frau Stella ist faul, träge und hat Selbstmitleid. Schreckliches Selbstmitleid.
Sie bejammert sich, dass sie jetzt nicht rausgehen kann (obwohl das Wetter nicht gerade einladend ist) und redet sich ein, dass ihr die Decke auf den Kopf fällt, wenn nicht gleich irgendetwas passiert.

Ein Retter, ein Prinz oder (wenn es nicht anders geht) die gute Fee sollen kommen und sie erlösen.
Jawohl, es muss sie jemand erretten.
Frau Stella stellt sich ans Fenster. Vielleicht sieht sie jemand, sie wohnt ja im Erdgeschoss.
Eine ältere Dame zieht ihren Trolley umständlich hinter sich her und langsam von dannen. Da drüben zwei Halbstarke kommen aus der Schule, eine junge Frau steigt in ihr Auto,.... kein Prinz...
Frau Stella erinnert sich an eine Geschichte, die ihre Frau Mama ihr über die kleine Frau Stella erzählt hat.Damals hatte Frau Stellas Mama und Papa eine Wohnung mit Balkon und die kleine Frau Stella muss des öfteren auf diesem Balkon gestanden und sehnsüchtlg "Kinder, Kinder" gerufen haben, wenn eben solche unter dem Balkon vorbei liefen.
Frau Stellas heutige Rufe sind stumm.
Da kommt der Postbote...
Der Postbote ist eine Frau und hat für Frau Stella nichts dabei.
"Und wenn ich etwas koche?" blitzt es kurz in Frau Stella auf und verschwindet in sekundenschnelle im Nirwana,"... zu anstrengend".
Frau Stella dreht ihre Runden. Vom Sofa in die Küche, ein Blick in den wüsten Garten, den Gedanken "der müsste noch Winterfest gemacht werden" in den Mülleimer schmeissen, zurück in den Flur, ins Schlafzimmer aber nicht zu laut, das Monster schläft in Mamas Bett, den Computer anschmeissen, nach Mails checken, keine da, minutenlang enttäuscht vor dem Eingangskorb sitzen und sich leid tun, langsam Hunger spüren und zurück zur Küche, Kühlschrank aufreissen, nichts finden, das in der Lage wäre, diese tiefe Krise zu beseitigen und ihn wieder schliessen ohne etwas gegen den Hunger unternommen zu haben, sich wieder ins Wohnzimmer begeben und aufs Sofa setzen, das Handy herausholen und alle Funktionen, die sie schon beim ersten Anschauen sofort begriffen hat, noch einmal durchgehen, solitär spielen, war viel zu einfach, Handy weglegen, es ruft ja eh keiner an, wieder an den Computer, in allen abonnierten Blogs rumstöbern, um festzustellen, dass heute keiner schreibt, kurz ins Bad aufs Klo gehen und Badewasser einlassen, Frau Stella hat nämlich mal gehört, so ein Bad wirke Wunder. Ja ein Wunder, Frau Stella braucht ein Wunder.
Im Schlafzimmer ertönt ein Stöhnen. Das Monster erwacht, aber nur einige Sekunden, um dann wieder in Fieberträumen durch die Lüfte zu fliegen.
"Das hat es gut, das Monster".
Frau Stella würde sich jetzt auch hinlegen, wäre nicht das Badewasser schon eingelaufen und Wasser verschwendet wird nicht, auch nicht, wenn Frau Stella vor Selbstmitleid gleich die Wände hochgeht.
Also rein in die Wanne in der Hand ein lieblos geschmiertes Brot, der Hunger treibt es rein.
"Und dass du es dir ja nicht gemütlich machst in der Wanne, Frau Stella, es geht dir heute schlecht und dir kann niemand helfen ausser dein Erretter, der sich aber nicht blicken lässt"
Etwas irritiert plätschert Frau Stella mit der noch freien Hand...eine Stimme? Ach was.
Frau Stella sinkt mit dem Kopf unter Wasser.
Die Wärme kriecht in sie hinein, umspült die gebeutelten Nerven mit wohliger Schwere. "Fliegen" denkt Frau Stella solange sie unter Wasser schwebt. Im Nebenraum kräht es.
"Mama".
Pfeilschnell schiesst Frau Stella hoch.
Aus.
Raus aus der Wanne, rein in die Klamotten.
Das Monster will etwas Essen. Nudeln mit Pesto, Ketchup und Parmesan. Alles noch da, von gestern.
Ab in die Mikrowelle und dem Monster mit Tablett ans Bett. Das Monster jammert,ist quengelig und kommandiert, aber immerhin es hat wieder Appetit und Frau Stella was zu tun.
Und dann weiss sie plötzlich was sie will, setzt sich an den Computer und schreibt...

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